Bereits mit Anfang dreißig hatte der italienische Internetpionier der späten 1990er Jahre 160 Mitarbeiter und einen vollen Terminkalender. Er arbeitete soviel, dass er die Welt, die er verändern wollte, selbst nicht mehr zu Gesicht bekam. Schließlich entschied er sich für einen drastischen Schritt: Er verkaufte von heute auf morgen sein Unternehmen und kehrte der hochtechnisierten Internetbranche den Rücken zu. Ein Jahr wollte er sich Zeit geben, um Ruhe in seinen Kopf zurückkehren zu lassen und selbst wieder den Boden unter den Füßen zu spüren.
Dieses Jahr verbrachte Riccardo Donadon hauptsächlich in seinem Garten. Und je mehr er pflügte, pflanzte und pflegte, desto mehr keimte in ihm eine Idee: Wie wäre es, wenn es auch eine Art Frühbeet für Start-ups gäbe? Einen Ort, an dem junge Leute Zeit bekämen, ihre Ideen erst einmal zu entwickeln und zu erproben, sich mit Experten auszutauschen und Investoren zu treffen, bevor sie mit ihren Firmen an den Markt gingen? So ein Ort existierte in Italien nicht und auch nirgendwo anders. Also gründete Riccardo Donadon ihn selbst. Er suchte sich Partner und schuf die H-Farm, H wie human. Es war die erste Start-up-Schmiede, der erste Venture-Inkubator der Welt, und er entstand nicht etwa in Amerika, im Silicon Valley, sondern im Hinterland von Venedig, auf freiem Feld.
Seit 2005 die Geschichte der H-Farm begann, schuf Riccardo Donadon einen Ort, der heute Brutkasten, Ideenschmiede und Campus in einem ist. Wenn es ein Vorbild für eine digitale Urbarmachung gibt, dann steht es hier. Fast hundert Start-ups wurden inzwischen gegründet. Große Firmen und Konzerne vergeben Aufträge hierher, internationale Entwickler und Business Angels treffen sich auf Meetings und Sommer-Camps. Aus einem Acker hat Riccardo Donadon ein Feld der Träume gemacht, auf dem Ideen und Talente wachsen wie zuvor Weizen und Mais.
Die Arbeitsatmosphäre erinnert an eine Kooperative, in der die Start-ups sich gegenseitig befruchten, anstatt sich zu verdrängen. Allen gemeinsam ist die Konzentration, die sie an diesem Ort finden, diese Stille, die der Raum ist, in dem Ideen entstehen. Wenn die Gründer und Studenten nach draußen blicken, sehen sie: Land, Landschaft, Natur, die Jahreszeiten. Auch, um bei allem Ehrgeiz und Engagement nicht die ‚echte Welt‘ aus den Augen zu verlieren. „Erst im Garten habe ich verstanden, dass es Kreisläufe gibt, die schon ewig gelten, und dass man in Einklang mit ihnen sein kann, ohne sie zu überprägen“, sinniert der Visionär. „Im Silicon Valley glaubt man, dass sich der Mensch seine Umgebung formen muss. Ich glaube, die Umgebung sollte auch den Menschen formen.“
Nachdem er inzwischen Vater geworden war, formten sich neue Gedanken in Riccardo Donadons Kopf, Gedanken an die nächste Generation: „Menschen zu bilden ist wie Säen, man pflanzt ein neues Bewusstsein.“ Und so erweiterte er die H-Farm um eine eigene Schule und Hochschule. Im nächsten Schritt investiert er gemeinsam mit seinen Partnern in einen neuen Campus, der alle Bildungseinrichtungen der H-Farm bündelt – vom Kindergarten über die Grundschule und das Gymnasium bis zur Universität. Dann werden 4000 Kinder, Jugendliche, Dozenten und Gründer Gewächse der H-Farm sein – und ihrer Philosophie: Die Jahreszeiten zu sehen. Das Wachsen und Vergehen. Dass sich die Natur in Kreisläufen organisiert. Der Wandel der Formen. Das ewig Gleiche darin. Das Bestechende einer einfachen Lösung. Verhältnismäßigkeit. Schönheit.