Daniel Martin Feige, Professor für Philosophie und Ästhetik an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, setzt sich in seinem Essay „Intime Öffentlichkeit“ mit den ethischen und ästhetischen Aspekten des Esstisches auseinander und beschreibt dessen Rolle wie folgt: „Die Tische, an denen wir essen, stiften eine Art vorübergehender oder sich fortsetzender Gemeinschaft. Gemeinsam an einem Esstisch zu sitzen, gibt uns Raum, uns mit uns und anderen über das zu verständigen, was wir sind.“
Den Ausführungen von Professor Feige zu Folge ist nicht allein relevant, an was für einem Tisch wir sitzen. Auch das Wie und das Wo sind entscheidend. So betrachtet er beispielsweise Stehtische an öffentlichen Orten als Spiegelbild der Schnelllebigkeit einer Gesellschaft; Tische, an denen man möglichst schnell sein Essen zu sich nimmt, so dass kaum ein persönlicher Austausch möglich ist. Ganz anders als bei Tischen in einem Restaurant. Obwohl diese sich ebenfalls in der Öffentlichkeit befinden, sind sie förmlich gemacht für privaten Austausch. Denn hier nimmt man gemeinsam Platz mit vertrauten Menschen, beansprucht Raum für sich und grenzt sich ab vom restlichen Geschehen. Oder man erlebt überraschend mit fremden Gästen am Tisch besondere Momente, in denen man sich intensiv mit jemandem zu unterhalten beginnt, der ein gänzlich anderes Leben führt und andere Interessen verfolgt als man selbst. So kann sich aus einer zufälligen Begegnung ein Gespräch entwickeln, aus dem man völlig neue Erkenntnisse schöpft.
Neben der symbolischen Perspektive ist selbstverständlich auch die ästhetische von höchster Relevanz. Denn ein Esstisch ist niemals nur ein funktionaler Gegenstand. Vielmehr bietet er dem Essen einen stilvollen Hintergrund und kommt darüber hinaus auch dann zur Geltung, wenn er gerade nicht genutzt wird. Durch sein individuelles Design, seinen Stil und sein Material prägt er den Raum, in dem er steht, wird eins mit ihm oder bildet Kontraste. Dabei sind nach Feige ästhetische Eigenarten nicht auf Ornamente zurückzuführen oder auf die Schönheit isolierter Partien. „Auch ein unverzierter, aus hochwertigen Materialien gefertigter Tisch hat seine ganz eigene Ästhetik: Klarheit, Prägnanz und dass hier etwas zusammenpasst – Letzteres ist selbst ein ästhetisches Moment solcher Tische.“
So kommt zum Ausdruck, was der Esstisch auch für unsere Lebensrealität im eigenen Zuhause darstellt. Er ist das Zentrum des häuslichen Lebens, um das wir uns versammeln und an dem wir die wichtigste Zeit verbringen. Werte wie Familie und Freunde rücken in den Mittelpunkt. Aber auch individuelle Stilvorstellungen. Weil wir der hektischen Welt eine sinnliche Welt mit haptischen Erfahrungen entgegensetzen wollen. In diesen Momenten ist der Mensch ganz bei sich selbst. Er genießt mit allen Sinnen, er ist angekommen.